Sonderausgabe des Neckar-Echo vom Sonntag, 10. November 1918

Transkription

 

Offizielle Sonderausgabe des Arbeiter- und Soldatenrates vom 10.11.1918

Heilbronn, Sonntag, 10. November 1918
Neckar-Echo
Tageszeitung fürs werktätige Volk

An die Bevölkerung von Heilbronn und Umgebung!

Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen ist, hat zu einer elementaren Bewegung der Arbeiter und Soldaten geführt. Ein Arbeiter- und Soldatenrat hat sich konstituiert. Württemberg ist fortan ein Freistaat. Eine Volksregierung, die von dem Vertrauen der Massen getragen wird, ist bereits eingesetzt worden. Eine konstituierende Landesversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden. Eine neue Zeit hebt an.

Die jetzige Umwälzung war notwendig, um im letzten Augenblick durch die Selbstregierung des Volkes auch die Entwicklung der Zustände ohne allzuschwere Erschütterungen zu erledigen, bevor die feindlichen Heere die Grenze überfluten, oder nach dem Waffenstillstand die demobilisierten deutschen Truppen das Chaos herbeiführen.

Der Arbeiter- und Soldatenrat wird strengste Ordnung sichern. Ausschreitungen werden rücksichtslos unterdrückt.

Die Stadtverwaltung hat den Schutz der Stadt dem Arbeiter- und Soldatenrat mit anvertraut. Die Schutzleute und unsere Ordnungsleute tragen rote Armbinden. Es ist ihnen unbedingt Folge zu leisten.

Die Sicherheit der Person und des Eigentums wird verbürgt.

Raub und Plünderung wird mit dem Tode bestraft.

Die Soldaten in den Kasernen werden durch Soldatenräte sich selbst regieren und die Disziplin aufrecht erhalten. Offiziere, die sich den Anordnungen der veränderten Zeit nicht widersetzen, sollen unangetastet ihren Dienst versehen.

Wir rechnen auf die schaffende Mithilfe der gesamten Bevölkerung.

Alle Beamten bleiben in ihren Stellungen.

Landwirte werden verpflichtet, die Städte mit Lebensmitteln zu versorgen. Der alte Gegensatz zwischen Land und Stadt muss verschwinden.

Arbeiter und Bürger, vertraut dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalsschweren Tagen sich vorbereitet. Helft alle mit, daß sich die unvermeidliche Umwälzung rasch, leicht und friedlich vollziehe. In dieser Zeit des sinnlosen, wilden Mordens verabscheuen wir neues Blutvergießen.

Jedes Menschenleben soll heilig sein. Bewahret die Ruhe und wirket mit an dem Aufbau der neuen Welt! Der Bruderkrieg der Sozialisten ist beendet. Auf der revolutionären Grundlage, die jetzt gegeben ist, werden die Arbeitermassen zur Einheit zurückgeführt. Es lebe die Republik! Es lebe der Friede! Es lebe die schaffende Arbeit aller Werktätigen!

Heilbronn, den 9. November 1918

Der Arbeiter- und Soldatenrat

Der Vorsitzende: Fr. Reinhardt

Geschäftsstelle: Hohestraße 2

 

Wir richten an die Eltern die dringende Mahnung, die Jugendlichen von abends 7 Uhr ab von der Straße fernzuhalten.

Arbeiter und Arbeiterinnen! Nehmt am Montag samt und sonders die Arbeit wieder auf!

Sämtliche Gestellungsbefehle die vom Generalkommando ausgegeben wurden sind zurückgezogen.

Soldaten! Die Rückkehr in die Kaserne zur Ausübung des Dienstes ist unbedingte Notwendigkeit. Fügt Euch den Anordnungen des Soldatenrats!

 

Proklamation der neuen württ. Volksregierung

An das württembergische Volk!

Eine gewaltige aber glücklicherweise unblutige Revolution hat sich heute vollzogen: Die Republik ist erklärt.

Eine neue Epoche der Demokratie und der Freiheit bricht an, die alten Gewalten treten ab und das Volk, das die Revolution bewirkt hat, übernimmt die politische Macht.

Seine nächste Vertretung bildet der aus den Freien Gewerkschaften, der Sozialdemokratischen Partei, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei und dem Arbeiter- und Soldatenrat berufene Arbeitsausschuß, dem sich General v. Ebbinghaus mit seinem Offizierskorps zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zur Verfügung gestellt hat. Die genannten Körperschaften werden geeignete Fachleute für die Fortführung der Verwaltungsgeschäfte heranziehen ohne Rücksicht auf ihre politische oder religiöse Gesinnung.

Die Regierung ist provisorisch und betrachtet es als ihre erste Aufgabe, eine konstituierende Landesversammlung auf Grund der in unserem Programm bekanntgegebenen Wahlrechtsforderungen vorzubereiten.

Die Regierung wird eine umfassende Amnestie erlassen.

Sie fordert die Bevölkerung auf, die Sicherheitsorgane bei der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu unterstützen, sowie die Arbeit wieder aufzunehmen.

Unberufenen Elementen, die sich öffentliche Ämter anmaßen, ist mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Berechtigt zu Amtshandlungen sind nur die mit amtlichem Ausweis versehenen Vollzugsorgane.

Für den Schutz von Leben und Eigentum ist Vorsorge getroffen. Die Soldaten gehorchen dem von ihnen gewählten Soldatenrat.

Von den öffentlichen Beamten, insbesondere dem Personal der Verkehrsanstalten, erwarten wir, daß sie weiter ihre Schuldigkeit tun. Freies Versammlungs- und Vereinsrecht ist für alle Zivil- und Militärpersonen gewährleistet.

Es werden umfassende soziale Reformen vorbereitet.

Die Bevölkerung der übrigen Gemeinden des Landes fordern wir auf, sich dem von der Stuttgarter Bevölkerung gegebenen Beispiel anzuschließen und in den wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen zur Landeshauptstadt keine Stockungen eintreten zu lassen. Wir werden es als unsere besondere Pflicht ansehen, uns der Interessen der gesamten Bevölkerung des Landes und sämtlicher Erwerbsschichten aufs ausdrücklichste anzunehmen.

Wir entbieten brüderlichen Gruß den Arbeitern und Soldaten aller Länder und fordern sie auf, mit dem revolutionären deutschen Volk solidarisch zu handeln und damit einen baldigen, dauernden Frieden der Gerechtigkeit herbeiführen zu helfen.

Stuttgart, 9. Nov. 1918

Die provisorische Regierung:

Vorsitz: Blos, Crispien

Auswärtiges: Blos

Inneres: Crispien

Arbeitsministerium: Lindemann

Finanzen: Thalheimer

Kult: Heymann

Justiz: Mattutat

Krieg: Schreiner

Erklärung:

Ich habe mich bereit erklärt, im Einvernehmen mit dem Soldatenrat mitzuhelfen, dass die militärische Ordnung in Stuttgart aufrecht erhalten bleibt.

9. Nov. 1918General von Ebbinghaus


Quelle des Flugblatts: (Stadtarchiv Heilbronn E002-933)

 

 

Arbeitsanregungen

  1. Arbeiten Sie aus dem Aufruf an die Bevölkerung die wesentlichen Forderungen und Ziele des Heilbronner Arbeiter- und Soldatenrates heraus.
  2. Vergleichen Sie damit die Proklamation der Provisorischen Regierung.
  3. Diskutieren Sie die Forderung nach baldigen Wahlen zu einer konstituierenden Landesversammlung.