Donnerstag, 12. Juli 1945
"Paul Meyle wird von der amerikanischen Militärregierung offiziell in seiner Funktion als BM bestätigt.
Die zweite Ausgabe der Amtlichen Bekanntmachungen, jetzt im Zeitungsformat, zweiseitig, erscheint mit neuen Befehlen der amerikanischen Militärregierung und Bekanntmachungen von OB und Landrat Emil Beutinger, mit Bekanntgabe der evangelischen und katholischen Gottesdienste und des Nacht- und Sonntagsdienstes der Ärzte und Apotheken. Unter anderem werden auch Anordnungen der Besatzungsmacht über militärische Ehrenbezeigungen bzw. 'Vorschriften, die von den Deutschen im besetzten Deutschland zu beachten sind' veröffentlicht. Darin wird beispielsweise verboten, die deutsche Nationalhymne oder militärische Musik in der Öffentlichkeit zu spielen oder zu singen, ebenso untersagt sind das Singen von Nazi-Liedern und das Tragen von Nazi-Fahnen oder sonstigen NS-Abzeichen, und zwar sowohl in der Öffentlichkeit als auch 'hinter verschlossenen Türen'.
Alle im Stadt- und Landkreis aus ehemals luftangriffsgefährdeten Gebieten untergebrachten Kinder sollen zur Rückführung beim Wohlfahrtsamt bzw. Kreiswohlfahrtsamt gemeldet werden.
Ein amerikanischer Befehl verbietet zivilen Fußgängern, den am Verwaltungsgebäude der Militärregierung in der Wilhelmstraße 11 vorüberführenden Bürgersteig zu benutzen, sofern sie nicht geschäftlich dort zu tun haben.
Das sogenannte Einfache Militärgericht der Amerikaner in Heilbronn hält Tages- und Abendsitzungen für die Verhandlungen von Vergehen durch die deutsche Zivilbevölkerung ab. So sind bereits sieben Männer 'wegen unberechtigten Besitzes von Benzin der amerikanischen Armee' zu je zehn Monaten Gefängnis verurteilt worden, 18 Personen zu je zwei bis fünf Tagen Gefängnis wegen 'Überschreitung der Ausgehzeiten', ein Mann zu einem Jahr Gefängnis 'für falsche Angaben bei Ausfüllung eines Fragebogens', eine Frau zu 30 Tagen Gefängnis, weil sie sich 'in der unmittelbaren Zone' des bei Böckingen gelegenen Kriegsgefangenenlagers aufgehalten und eine Unterhaltung mit den Gefangenen versucht hatte, obwohl sie zum Verlassen der Lagerzone aufgefordert worden war.
76 Straßennamen (28 in der Kernstadt, 25 in Böckingen, 22 in Neckargartach und einer in Sontheim) werden geändert, teils erhalten die Straßen ihre alten Bezeichnungen wieder, die sie vor dem Dritten Reich hatten, teils bekommen sie ganz neue Namen. In Böckingen werden auch die beiden Volksschulen – Adolf-Hitler-Schule in Alleeschule und Hindenburgschule in Weststraßenschule – zurückbenannt.
Ankunft der Familien der Obersten der Militärregierung, für die wiederum Wohngebäude beschlagnahmt werden, z.B. die Villa Fuchs und das Haus Biel in der Jägerhausstraße 104 und 50.
Große Sprengungen in den Häuserruinen der Stadt.
In letzter Zeit mehren sich die Fahrraddiebstähle, weil die Fahrradbesitzer ihre Räder trotz der unsicheren Zeit unabgeschlossen und unbeaufsichtigt irgendwo abstellen. An den Diebstählen sind jedoch – wie viele meinen – nicht nur Ausländer beteiligt, sondern auch zahlreiche Deutsche.
In den zurückliegenden Tagen haben die Geldinstitute mit Genehmigung der amerikanischen Militärregierung ihre Tätigkeit wieder aufgenommen; soweit möglich, wird auch der bargeldlose Zahlungsverkehr durchgeführt. Eine auf Befehl der Militärregierung veröffentlichte Aufforderung von OB Emil Beutinger verweist auf das Erfordernis, alle Bargeldeinnahmen und das überflüssige Bargeld bei den Banken einzuzahlen zur Behebung der Geldknappheit und zur Bereitstellung der Löhne und Zahltagsgelder.
Die Ladengeschäfte müssen auch samstags von 8 – 18 Uhr durchgehend geöffnet sein; die arbeitende Bevölkerung ist bevorzugt zu bedienen.
Für die gegenwärtig laufende Versorgungsperiode (25. Juni – 22. Juli) werden pro Person ein Stück Einheitsseife, ein Normalpaket Waschpulver und ein Normalpaket Waschhilfsmittel ausgegeben, für Kleinstkinder bis zu drei Jahren zusätzlich je ein Normalpaket Waschpulver.
Von einem bedenkenlosen Teil der Bevölkerung werden aus der Ruine (Innenraum), der Sakristei und dem Keller der Friedenskirche Holz, Möbel und Möbelteile, Papier ausgelagerter Akten u.a. entwendet. Einige noch im Innenraum stehende Holzbänke (mit Schnitzereien) werden herausgerissen. Während des Kampfes um Heilbronn wurde in der Kirchenruine und um ihren Keller gekämpft, wobei ein Brand ausbrach. Ihm fiel ein Teil der dort eingelagerten Möbel Ausgebombter zum Opfer, während ein größerer Aktenbestand des Stadtarchivs erhalten blieb. Der Turm der Kirche ist im Helm durchschossen. Die Beschädigungen sind so stark, daß an seine Wiederinstandsetzung nicht gedacht werden kann. Die Kirche selbst ist bis auf eine kleine südliche Seitenkapelle und die Sakristei völlig zerstört. Im Chor sieht man noch das mit satten Farben von Professor Heinrich Altherr (einem Schweizer Künstler) gemalte Freskobild 'Das jüngste Gericht', vielfach von Gewehr-, Bordwaffenschüssen und Geschoßsplittern durchlöchert. Der ganze Inneraum war schon am 4. Dezember 1944 völlig ausgebrannt; er hat kein Dach mehr.
In Heilbronn und seinen Vororten sind wieder 17 Ärzte tätig, und zwar zehn in der Kernstadt: Dr. Richard Beck, Dr. Friedrich Börstler, Dr. Walter Kupferschmied, Dr. Johanna Eyth, Dr. Karl Feyerabend, Dr. Albrecht Giese, Dr. Otto Kachel, Dr. Richard Kerber, Dr. Alfred Rauth, Dr. Margarethe Schröter; zwei in Böckingen: Dr. Wolfgang Herrmann und Dr. Eugen Schrägle; drei in Neckargartach: Dr. Walter Eisele, Dr. Hans Fröhner und der aus Lettland stammende Dr. Peters Lusis; sowie zwei in Sontheim: Dr. Hans Schramm und Dr. Carl Weyßer.
Apotheken sind insgesamt wieder sechs in Betrieb, und zwar je eine in den drei Vororten und folgende in der Kernstadt: Einhorn-Apotheke, Dr. Hans Dorn, Oststraße 24 (frühere Geyersche Klinik), die alte Apotheke Ecke Lohtor- und Sülmerstraße ist zerstört; Rosenapotheke (in der Rosengasse zerstört), Richard Koch, zur Zeit Wilhelmstraße 54 (früheres jüdisches Eigentum – Kaufmann Bertold Marx); Apotheke am Karlstor, Richard Werner, Kernerstraße 8 (Eigentümer: Neuapostolische Gemeinde), frühere Fleinertor-Apotheke zerstört."