Louis Bochardt – die Bleikrankheit und ihre Heilung durch einen unbekannten Heilbronner Arzt

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1825 erschien in Karlsruhe ein Büchlein über die Heilung der "Bleykrankheit". Es gehört zu den ersten deutschsprachigen Veröffentlichungen, die einen Einblick in den arbeitsmedizinischen Alltag der aufkommenden chemischen Industrie gewähren. Heilbronn stand dabei in vorderster Front: Die erste chemische Fabrik Württembergs wurde 1801 in Heilbronn gegründet.

Der Kontakt mit dem Schwermetall Blei ist nicht ungefährlich. Diese Erfahrung mussten zum Beispiel Jahrhunderte lang die Liebhaber süßer Weine machen, die sich durch den regelmäßigen Konsum von mit Bleiweiß oder Bleizucker geschöntem Wein eine chronische Bleivergiftung einhandelten. Auch Schriftsetzer, die täglich Bleilettern anfassen mussten und Maler, die bleihaltige Farben verwendeten, konnten krank werden.

Blei war vor allem im 19. Jahrhundert ein wichtiger Rohstoff. Durch den Zusatz von Essig- und Kohlensäure beispielsweise ließ sich aus Weichblei das sogenannte Bleiweiß gewinnen, die damals gebräuchlichste Anstreich- und Deckfarbe. 1801 begann die Heilbronner Firma Georg Friedrich Rund mit der fabrikmäßigen Herstellung von Bleiweiß, sechs Jahre später wurde auch Bleizucker ins Programm aufgenommen. Dieses Bleiacetat benötigte man zum Färben, beim Kattundruck und zu medizinischen Zwecken. Die Firma gehörte damals den Familien Mertz und Orth, das Firmengelände befand sich außerhalb der Stadt auf dem Rosenberg, die Mühle zum Zerkleinern des Bleies stand auf dem Hefenweiler. Nach der württembergischen Gewerbestatistik von 1832 beschäftigte Rund damals 50 bis 60 Arbeiter und Arbeiterinnen innerhalb und weitere 18 bis 20 Personen außerhalb der Fabrik und war damit nicht nur der älteste, sondern auch der größte chemische Betrieb in Württemberg.

 

Am gefährlichsten ist das Einatmen und Verschlucken von Bleistaub. Da zerriebenes Weichblei der Ausgangsstoff für Bleiweiß und Bleizucker ist, waren die Arbeiter und Arbeiterinnen der Heilbronner Bleiweißfabrik häufig krank. Der Arzt, der diese Patienten behandelte, hat seine Erfahrungen und Empfehlungen in unserem "Buch des Monats" niedergeschrieben. Er hieß Louis Bochardt und war hauptsächlich Arzt für die Insassen des Königlichen Zuchthauses in Heilbronn. Seit 1811 gaben die Rundschen Fabrikbesitzer ihre erkrankten Arbeiter in seine Obhut und übernahmen (dem Vorwort zufolge) die Behandlungskosten.

Louis Bochardt stellte fest, dass jene Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich schlecht ernährten oder häufig Alkohol tranken, besonders anfällig für eine Bleivergiftung waren - Risikofaktoren, die heute noch gelten, während seine Annahme, dass vor allem Personen mit ängstlicher oder cholerischer Veranlagung krank wurden, keinen Bestand hatte.

Zur "therapeutischen Cur" machte der Arzt eine ganze Reihe von Vorschlägen. Wichtig war ihm, dass sich die Kranken vollständig auskurierten (hoffen wir, dass ihre Lebensumstände dies zuließen), und dass es ihnen gelang, ihre Gemütsverstimmung zu überwinden und ihres Lebens wieder froh zu werden. Nach Louis Bochardts Beobachtungen war "in keiner chronischen Krankheit die Psyche so getrübt, als in der Bleykrankheit" - und in der Tat sind Depressionen eine häufige Begleiterscheinung von Schwermetallvergiftungen.

 

Am besten ist es natürlich, man schaltet alle Möglichkeiten der Intoxikation von vornherein aus. Bislang versuchten sich die Arbeiter und Arbeiterinnen nur sehr unzulänglich durch vorgebundene Tücher zu schützen. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung entwickelte Louis Bochardt deshalb eine Maske aus gefirnisster Leinwand oder Pappmaché mit einer Belüftungsapparatur und mit Gläsern vor den Augen - sowie dem Vorzug, dass "der Arbeiter nicht nur gesichert wird [...] sondern er kann auch beym Geschäft sprechen, welches doch beym weiblichen Geschlecht einige Beherzigung verdient". Inwieweit Bochardts Modell einer Atemschutzmaske in der Praxis Verwendung gefunden hat, konnten wir leider nicht feststellen.

Schade, dass wir über diesen engagierten Arzt, der noch zwei weitere Bücher über medizinische Themen veröffentlicht hat, so wenig wissen. Als er 1824 den Stadtrat um ein "räthliches Zeugniß" über seine bisherige Arbeit als "practicirender Arzt und Geburthshelfer in hiesiger Stadt" bat, beurkundete das Gremium, "daß die Aufführung des Herrn Bochardt tadellos, und insbesondere dessen Dienstfertigkeit und Uneigennützigkeit gegen die Armuth zu loben sey".

Louis Bochardt hatte sich 1793 an der medizinischen Fakultät der Universität Göttingen eingeschrieben, wobei ihm die Studiengebühren aus Armutsgründen erlassen worden waren. Er stammte aus der Neumark in der ehemaligen preußischen Provinz Mark Brandenburg. Bevor er nach Heilbronn kam, war er Arzt und Chirurg in Lehrensteinsfeld gewesen. Damals hieß er noch Simon Joseph; als er im Alter von dreißig Jahren vom jüdischen zum protestantischen Glauben übertrat - die Taufe fand am 3. April 1800 in Heilbronn statt - wählte er Philipp Ludwig (Louis) zu seinen neuen Vornamen.