Hinweise für den Unterricht
Flugblätter waren in einer Zeit ohne Rundfunk, Fernsehen und soziale Medien die einzige Möglichkeit, Nachrichten schnell zu verbreiten. In der Revolution 1918/19 wurden sie sowohl von Regierungsseite als auch von der spartakistischen Opposition eingesetzt. Stilistisch sind sie häufig von politischer Agitation und Polemik geprägt. Dies sollte den Schülerinnen und Schülern vor der Arbeit mit den Flugblättern deutlich gemacht werden. Andererseits sind historische Quellen selten so pointiert, direkt und provokativ wie Flugblätter, worin ein hohes Motivationspotential liegt.
Die Flugblattsammlung im Stadtarchiv Heilbronn gibt anschauliche Beispiele für die zentralen Fragestellungen der Zeit, insbesondere die Auseinandersetzung um das künftige politische System: Parlamentarische Demokratie oder Rätemodell nach sowjetischem Vorbild.
Freilich dürfen Flugblätter nicht isoliert oder als alleinige Informationsquelle eingesetzt werden. Es empfiehlt sich, Verfasser, Adressaten und situativen Kontext möglichst differenziert in die Deutung einzubeziehen.
M 1 bis M 3 bieten Hintergrundinformationen für die Flugblätter an. Sie sind auch als Begleitmaterial für die Quellenarbeit gedacht.
Zu M 1:
Die Revolution 1918/19 in Württemberg und zu M 2 Die Revolution 1918/19 in Heilbronn: Diese Informationstexte mit Fragen zum Inhalt lassen sich vorbereitend lesen und bearbeiten. Sie geben in Kürze einen Überblick über die Geschehnisse in Württemberg und Heilbronn.
Zu M 3:
Die Zeitleiste kann begleitend zur Bearbeitung der Flugblatt-Quellen ausgegeben oder ausgelegt werden. Sie hilft den Schülerinnen und Schülern bei der zeitlichen Einordnung der Quelle.
Was lasen die Heilbronner am Tag nach den Großkundgebungen in Heilbronn und Stuttgart in der Zeitung? Wie definiert sich der Heilbronner Arbeiter- und Soldatenrat? Welche Ziele gibt er an? Wie greift er in das Leben der Heilbronner ein? Welche Ziele hat die neue württembergische Volksregierung?
M 4 eignet sich für den Einstieg in die Quellenarbeit. Die „Offizielle Sonderausgabe des Arbeiter- und Soldatenrats“ mit dem "Aufruf an die Bevölkerung von Heilbronn und Umgebung" ist formal zwar kein Flugblatt, wohl aber vom Inhalt und der Verbreitungsabsicht her.
Der Heilbronner Arbeiter- und Soldatenrat nutzt hier die Sonderausgabe des SPD-Blattes Neckar-Echo für dem Flugblatt vergleichbare Zwecke.
Die "Sonderausgabe" enthält auch die Proklamation der "neuen württembergischen Volksregierung" vom 9. November 1918. Auffällig ist, dass in der Liste der Minister am Ende noch der Name August Thalheimers als Finanzminister zu finden ist. Thalheimer, geb. 1884 in Affaltrach, kam erst am Abend des 9. November aus der Haft in Tübingen in Stuttgart an. In der Nacht ließ er seinen Namen in der Stuttgarter Druckerei aus dem Satz nehmen, da er sich für eine Räterevolution einsetzte und an einer Regierung, die das Ziel hatte, möglichst rasch eine verfassunggebende Landesversammlung zustandekommen zu lassen, nicht mitwirken wollte. Die Druckerei des Neckar-Echo konnte eine solche Änderung nicht mehr vornehmen.
Hier wird bereits im Ansatz die grundsätzliche Differenz zwischen Spartakisten (linker Flügel der USPD) und SPD deutlich.
Die Zusatzerklärung von General Christof von Ebbinghaus, dem Stadtkommandanten von Stuttgart, mit der Provisorischen Regierung zusammenzuarbeiten, wurde auf Veranlassung des Verfassers, Wilhelm Blos (SPD), dem ersten Staatspräsidenten des "Volksstaats Württemberg" der Proklamation beigefügt. Sie sollte deutlich machen, dass die neue Regierung über die Macht im neuen Staatswesen verfügte.
Die beiden Proklamationen machen deutlich, dass SPD, USPD und Arbeiter- und Soldatenrat an Ruhe und Ordnung sowie einer baldigen Fortführung des Arbeitslebens appellieren und Unruhen vorbeugen wollen. Bereits zu Beginn des Aufrufs des Heilbronner Arbeiter- und Soldatenrats wird auf die baldige Wahl einer konstituierenden Landesversammlung, also auf den Weg zu einem parlamentarischen System, hingewiesen.
Zu M 5 bis M 8:
Diese Flugblätter sind vor dem Hintergrund der Spartakusunruhen im April 1919 zu verstehen und zeigen pointiert die Gegensätze zwischen der Regierungsseite (Parlamentarische Demokratie) und den Spartakisten (Rätesystem) auf.
M 5:
Beim Aufruf der SPD zur Teilnahme an der Wahl am 19.1.1919 fällt der Begriff "die alte Sozialdemokratische Partei" auf. Gemeint ist die SPD, von der sich 1917 die USPD abgespalten hatte, die weiteren Kriegskrediten ihre Zustimmung versagte. Die eigentliche Spaltung prägte bei Kriegsende die USPD. Während ihr rechter, mehrheitlicher Flügel keine Probleme damit hatte, den Kurs der SPD zu unterstützen, strebte ihr linker Flügel, die "Spartakusbewegung" eine enge Orientierung am bolschewistischem Russland an. Dies kommt im Flugblatt klar zum Ausdruck. Als Gefahren der Zeit werden gleichermaßen die "kapitalistische Eroberungssucht", die zum Weltkrieg geführt hatte, wie der "bolschewistische Wahnsinn" bezeichnet.
Von den bürgerlichen Parteien grenzt sich die SPD vor allem im Bereich der Steuergesetzgebung ab. Sie fordert Steuergerechtigkeit, eine Entlastung der geringen Einkommen und eine höhere Besteuerung der Reichen.
M 6:
Das Flugblatt der württembergischen Regierung gegen den vom Spartakus ausgerufenen Generalstreik im April 1919 wendet sich gegen die Polemik, die von dieser Seite gegen die "Blutregierung Blos" vorgebracht wurde. Es macht die aufgeheizte Atmosphäre dieser Tage deutlich.
M 7:
Die KPD entstand um die Jahreswende 1918/19 aus einem Zusammenschluss des Spartakusbundes mit kleineren linksradikalen Gruppen. Das Flugblatt nimmt Bezug auf die Vorgänge im benachbarten Bayern. Dort hatte die USPD eine herbe Wahlniederlage hinnehmen müssen. Die ausbrechenden Unruhen nach der Ermordung des bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner nutzten die bayrischen Kommunisten zu einem Putsch aus. Sie riefen in München die Räterepublik aus. Die aus den Wahlen hervorgegangene bayrische Landesregierung floh nach Bamberg und rief u.a. auch den Volksstaat Württemberg zur Unterstützung ihres Kampfes gegen die Putschisten auf, der württembergische Truppen nach Bayern schickte.
Dagegen wendet sich das Flugblatt und fordert die Solidarität der württembergischen Arbeiter ein. Noch einmal versuchten die Kommunisten, ihre Vorstellungen von einer sozialistischen Räterepublik und einer Weltrevolution deutlich zu machen.
M 8:
Das Flugblatt der württembergischen Regierung nimmt Bezug auf das Flugblatt der KPD und rechtfertigt die Entscheidung, württembergische Truppen nach Bayern zu schicken. Es macht deutlich, dass nicht die arbeitende Bevölkerung Bayerns, sondern kommunistische Putschisten die Räterepublik ausgerufen und den Bürgerkrieg entfesselt haben. Die Kommunisten versuchten durch den Putsch in Bayern wie durch den Generalstreik in Stuttgart/Württemberg doch noch die Fortführung der Revolution in Deutschland zu erreichen. Sowohl beim Januarputsch in Stuttgart als auch bei der Münchner Räterepublik waren auch sowjetische Agenten beteiligt.
M 9:
Der Aufruf zum Eintritt in die "Heilbronner Volkswehr" macht deutlich, dass die spartakistische Gefahr im Juni 1919 noch nicht beendet war. Am 21. Juli 1920 fand in Heilbronn eine Kundgebung vor der Moltkekaserne statt, während der Demonstranten auch auf das Gelände der Kaserne vordrangen.
M 10:
Das Flugblatt der SPD macht in polemischer Form deutlich, zu welchen Gräueltaten spartakistische Unruhen im Reich (Braunschweig, Bremen, Halle, Dresden) wie in Württemberg geführt haben. Außer in Bayern kam es auch besonders im Ruhrgebiet zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Im Osten Stuttgarts (Gablenberg, Gaisburg,Wangen, s. M11) verschanzten sich im April 1919 400 Anhänger der Kommunisten und begannen einen Straßenkampf zu entfachen.
M 11:
Die Regierung nutzt für ihre amtliche Bekanntmachung die Form des Flugblatts, um möglichst viele Stuttgarter zu erreichen. Sachlich und detailliert wird über den Verlauf des Putsches am 3. April 1919 und die Beendigung des Aufstandes in Stuttgart informiert. Die Information über die Milchausgabe auf dem noch freien Platz unten auf dem Flugblatt wirft ein bezeichnendes Bild auf die Alltagsprobleme.
M 12:
Antibolschewistisches Flugblatt. Die Provenienz ist unklar. Das Flugblatt scheint aber nicht von der Regierung oder der SPD zu stammen, denn es wendet sich gegen ‚künstlich konstruierte Gegensätze zwischen Arm und Reich‘. Es weicht stilistisch und inhaltlich von den anderen Verlautbarungen ab und deutet eher auf einen bürgerlichen oder konservativen Verfasser hin.
M 13:
Dieses Flugblatt ist nicht in den Beständen des Stadtarchivs enthalten. Es wurde beigefügt, um die klare Programatik des Spartakus aus eigener Hand deutlich zu machen.
Bereits in diesem Programm, das die Stuttgarter Spartakisten August Thalheimer und Fritz Rück in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1918 verfassten und am 10.November dem Stuttgarter Arbeiter- und Soldatenrat vorlegten – der es energisch zurückwies -, wird die Zielsetzung deutlich, in Anlehnung an die Revolution in Russland auch in Württemberg ein bolschewistisches Rätesystem durchzusetzen.