Ein Kriegsgefangener schreibt an seinen Pfarrer

Brief aus dem Kriegsgefangenlager Wolfhezen von W. Betz an Pfarrer Hermann Zeuner in Klingenberg

 

Transkription

Wolfhezen, den 27.6.18

"Sehr geehrter Herr Pfarrer!

Nach langer Zeit erlauben es mir die Umstände, auch einige Zeilen an Sie zu richten. Ich sage Ihnen vor allem meinen herzlichen Dank für die liebevolle Fürsorge, welche Sie mir haben zukommen lassen während meiner Gefangenschaft. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich nicht habe früher meinen Dank aussprechen können, aber wie die Umstände liegen, da können Sie sich ja auch ungefähr eine Vorstellung machen, als Gefangener ist man rechtlos, da muss man sich ja alles gefallen lassen u. in die unglaublichsten Sachen fügen, genauso ist es mit dem Briefverkehr, der ist so ziemlich bemessen! Danke auch herzlich für die liebevolle Nachfrage bei meinen lieben Eltern! Werter Herr Pfarrer, sie werden sich auch oft gefragt haben, wie geht es denen über dem Kanal, da kann ich Ihnen jetzt einigen Aufschluss geben, da es ja von drüben aus verboten ist, überhaupt über etwas nähere Erklärung abzugeben. Im Anfang unserer Gefangenschaft, da ging die Behandlung einigermaßen, aber zur Zeit der U-Boot-Blockade, von da ab wurde unsere Lage immer kritischer, das Sprichwort sagt ja: "Getroffene Hunde bellen!" Und jetzt wird es ja mit jedem Tag schlechter, drüben bei unseren schönen Vettern.

Dass ich mich hier wohl fühle, das lässt sich gut denken; denn während meiner zweijährigen Gefangenschaft bin ich mit noch vielen Kameraden nicht über den Draht hinausgekommen, auf einem Platz in der Größe ungefähr zweimal so groß wie der Pfarrgarten, das war unser Weg zum Spazierengehen, das war natürlich direkt nerventötend, es ist ja jetzt gottlob überstanden. Wir hatten jede Woche einmal Gottesdienst, durch einen Herrn Pfarrer Scholten, welcher in sehr liebenswürdiger Art und Weise für uns gesorgt hatte, es war ein deutscher Herr, er wurde als einer von den wenigen auf freiem Fuß gelassen. Wir waren da so ziemlich über alles unterrichtet von der Heimat, Herr Scholten hat auch sehr viel für die Kameraden in den Lazeretten gesorgt, er hatte immer für jeden was übrig, ich war ja gottseidank nur kurze Zeit im Lazerret. Unsere Überfahrt war sehr schön von England nach Holland, wir waren auf Dampfer Königin Regentis, welches mit uns seine letzte Fahrt machte, es ist ja auf eine Mine gelaufen, wobei ja auch vier Personen umkamen, wovon ich auch einen Herrn persönlich kenne, es war ein sehr netter Herr, das hätte er auch sicher nicht gedacht, als wir die Fahrt mit ihm machten. Die Bevölkerung hier ist so ziemlich deutschfreundlich, wir liegen in der Nähe der deutschen Grenze bei Arnhem, es ist eine wunderschöne Gegend, unser Lager liegt mitten im Wald, ist für uns sehr gesund, wir erholen uns ziemlich schnell, es ist vielleicht die Möglichkeit, bald nach Deutschland zu kommen, wie wir hören, sind im Haag zur Zeit Verhandlungen, genau wie mit Frankreich. Hoffentlich haben wir bald das Glück, ausgetauscht zu werden, es ist jetzt schon eine lange Zeit, dass ich von Hause weg bin.
Will nun schließen mit vielen Grüßen

Ihr Vizefeldwebel W. Betz"

Anmerkungen

  • "Im Haag" bedeutet in Den Haag, der Hauptstadt der Niederlande.
  • Handschriftlicher Vermerk mit Bleistift auf dem Klebestreifen: "Interniertenbrief"
 

Arbeitsanregungen

  • Beschreibe die Situation, in der sich W. Betz aus Klingenberg bei Heilbronn befindet. Informiere dich dazu auch über den Frontverlauf im Sommer 1918 und die Rolle, welche die Niederlande (im Text Holland) im Ersten Weltkrieg spielte.
  • Worauf weist der Klebestreifen oben am Briefumschlag hin?