Krieg und Pressefreiheit
Transkription
Krieg und Preßfreiheit (Neckar Echo Nr. 54 vom 6. März 1915 S. 5)
Die Zensurmaßnahmen gegen die Presse haben sich in der letzten Zeit wieder in bedauerlicher Weise gehäuft. Dem zeitweiligen Verbot der "Königsberger Volkszeitung", das freilich noch vor dem festgesetzten Termin wieder aufgehoben wurde, folgten die Verbote der Elberfelder "Freien Presse" und der "Magdeburger Volksstimme" für je drei Tage und die Stellung der "Freien Volkszeitung" in Göppingen unter Zensur für die Dauer einer Woche. Es handelt sich in allen diesen Fällen um Blätter, die genauso gut wie die übrige deutsche Presse bemüht sind, den Notwendigkeiten des Kriegszustandes in jeder Weise Rechnung zu tragen. Wenn diese Blätter zugleich nicht aufhören wollen, ihre mit den Zwecken der Volksverteidigung durchaus übereinstimmenden Grundsätze zu vertreten und in den schwebenden wirtschaftlichen Fragen die Interessen der breiten Massen wahrzunehmen, so dienen sie damit der allgemeinen Sache. Denn eine verwaschen charakterlose Presse, die auf den Ausdruck einer eigenen Meinung verzichtete und dadurch das Vertrauen ihrer Leser verlöre, wäre ganz unfähig zur Erfüllung der schweren Aufgaben, die ihr der Krieg gestellt hat.
Es ist anzuerkennen, daß diese klare Sachlage von den meisten der in Betracht kommenden Behörden in gerechter Weise gewürdigt wird. Trotzdem wird man über Ausnahmen von dieser Regel nicht leichten Herzens hinwegsehen dürfen. Man darf gewiß sein, daß jene Behörden, die mit der Verhängung strenger Maßnahmen etwas zu eilig sind, von diesen Maßregeln Abstand nehmen würden, wenn sie von den Wirkungen, die sie durch sie erzeugen, die richtige Vorstellung hätten. Es ist darum notwendig, gegen die Verbote, von denen neuerdings unsere Bruderorgane in Magdeburg und Elberfeld betroffen worden sind, vor aller Öffentlichkeit die schwersten Bedenken geltend zu machen. Diese Verbote sind keine gute Tat für die Gegenwart und keine gute Saat für die Zukunft.
Wir hoffen, daß die Angelegenheit im Reichstag zur Sprache kommt. Schweigen wäre hier eine nicht zu rechtfertigende Unterlassungssünde. Vielleicht läßt sich eine Änderung der geltenden Zensurbestimmungen dahin erreichen, daß Zeitungsverbote nicht ohne Zustimmung des Reichskanzlers erlassen werden dürfen. Das Verbot einer Zeitung ist eine Maßnahme von so tief einschneidender politischen Bedeutung, daß sie ohne die Zustimmung des höchsten politischen Beamten des Reichs nicht vollzogen werden sollte. Damit wäre auch die Gefahr vermieden, daß je nach dem Temperament und den Auffassungen der einzelnen Befehlshaber an verschiedenen Orten in verschiedener Weise vorgegangen wird.
Erläuterungen:
• Preßfreiheit = Pressefreiheit
• Bruderorgane=Zeitungen mit ähnlicher politischer Ausrichtung
• Befehlshaber=Militärpersonen, die nach Kriegsrecht Verordnungen erlassen konnten.
Arbeitsaufträge
- Erarbeite aus dem Text die Argumente, mit denen gegen die im Krieg verhängte Pressezensur Stellung bezogen wird.