Quellen- und Arbeitsblätter

M 1 Erkundungsbogen: Stadt im Aufbruch - Hunger und Not

Bereitet ein kurzes Referat vor, das ihr im Museum vor dem Ausstellungsobjekt halten könnt.

Das Schicksalsjahr 1816/17 und seine Folgen

Betrachte im Modul "Stadt im Aufbruch" das Bild "Feierlicher Einzug des ersten Erntewagens in Heilbronn".

 

Arbeitsaufträge

  • Beschreibe den Bildaufbau. – Was ist auf dem Bild zu sehen?
  • Worauf gehen die Texte rund um das Bild ein?
  • Informiere dich über die Gründe, warum 1817 der erste Erntewagen in Heilbronn feierlich begrüßt wurde.
  • Informiere dich über das "Schicksalsjahr 1816/17" und seine Folgen im Modul "Hunger und Not".

M 2: Die Große Hungersnot in den Jahren 1816/17

Transkription der Texte:

Links oben:
Geschrieben / und / ausgezeignet /von / Heinrich / Sinzinger / Weingärtner

Oben Mitte:
Zum Angedencken der Grossen / Theuerung / 1817 / Du bester Trost der Armen / Du Herr der ganzen Welt O Vater / Voll Erbarmen, der alles trägt und hält, Schau / Her auf unsere Noth. Erbarme Dich der Deinen, Die Armen / Gehn und weinen und Schmachten Herr nach Brodt.

Tabelle rechts neben dem Kiliansturm:

1 Schef [Scheffel] Dinkel 32 [Gulden] 1 Schef Kernen 80 [Gulden] 1 Schef Weizen 72 [Gulden] 1 Schef Korn 52 [Gulden] 1 Schef Gersten 54 [Gulden] 1 Schef Haber 20 [Gulden] 1 Schef Ackerbonen [Gulden] 1 Schef Erbsen 51 [Gulden] 1 Schef Linsen 54 [Gulden] 1 Schef Cartofel 24 [Gulden] 8 Pfund Brot 1 [Gulden] 40 [Kreuzer] 2 Loth Weck  1 [Kreuzer] 1 Maas Wein 1 [Gulden] 36 [Kreuzer] 1 Maas Bier 18 [Kreuzer] 1 Pfund Butter 48 [Kreuzer] 1 Pfund Ochsenfleisch 18 [Kreuzer] 1 Pfund Schweinefleisch 18 [Kreuzer]

Links unten:
Den 8. Julius wurde / der erste Erndt-Wa / gen in die Stadt ge / fürt. Von Heinrich / Sicherer. Der wurdt / von allen Schulkindern begleidet Von dem Sülmertohr bis auf / den Marktplaz. In der Stadt herum und in die Zendscheuern. / Mit dem Gesang: Sey Lob und Ehr und Nun danket alle Gott.

Rechts unten:
DML [Doktor-Martin-Luther-] / Fest / Den 31. October wurde auch das 3. Roevermacionsfest [Reformationsfest] oder Jubel / Fest gefeiert. Welches alle Hundert Jahr Gefeiert wurde. Welches / das 3. Segulo [Saeculo] war. Und haben dabey die Schulkindern/ Denckmunz erhalten.

Aus der Heilbronner Chronik:


„Am 8. Juli [1817] feierlicher Einzug des ersten bekränzten Erntewagens unter Lobgesängen. Nach der Ernte fällt der Brotpreis auf 54 bis 44 Kr. [Kreuzer]
Chronik der Stadt Heilbronn, Band 1, Unveränderter Nachdruck der 2. Auflage von 1826, Stadtarchiv Heilbronn, 1986, S. 355

Ein Laib Brot kostete in Heilbronn

Anfang des Jahres 1816         22 Kreuzer
Juli 1816                                 48 Kreuzer
November 1816                      47 Kreuzer
Mai 1817                                1 Gulden 10 Kreuzer

(1 Gulden = 60 Kreuzer)

Anfang November kaufte der württembergische Staat ausländisches Getreide, um den Brotpreis zu senken. Getreide durfte nicht mehr aus Württemberg ausgeführt werden.

Gedenkstein am Steinackerweg in Obersulm-Willsbach

Transkription:

Zum / Andenken / an die große / 18 Theuerung 17 [1817]
Herr gib uns täglich Brod / Aus Gnaden immerdar / Vor Mangel theurer Zeit // Uns fernerhin bewahr

1 Scheffel Dinkel  48 fl [Gulden]
1 Simri Haber        2 fl 40 Kr [Kreuzer]
1 Sri Gerste           9 fl
1 Sri Kartoffel        3 fl 12 Kr
1 Weck 1 Loth

J. F. Rudolph

(1 Scheffel = 177,2 Liter; 1 Simri = 22,15 Liter; 1 Lot = 14,5 Gramm (württembergisches Maß von 1806). Ein Brötchen wiegt heute ca. 50 Gramm.

Der Stein war früher im Garten des Wirtshauses zum Ochsen aufgestellt und ist heute in die Straßenmauer am Steinackerweg 6 eingemauert.

 

Arbeitsaufträge

  • Untersucht die bildliche und schriftliche Darstellung auf dem Gedenkblatt.
  • Sprecht darüber, was den Willsbacher Ochsenwirt dazu bewegt haben könnte, den Gedenkstein anfertigen und in seinem Garten aufstellen zu lassen.
  • Wie wirkt ein solcher Stein heute auf die Passanten, die an ihm vorbeigehen?
  • Diskutiert über die Auswirkungen der Preissteigerungen auf die Menschen.

M 3: Auswanderungsgründe im Weinsberger Tal 1816/17

Der Weinsberger Dekan Dillenius schilderte die Situation, die 1816 herrschte, folgendermaßen:
"Der Sommer dieses Jahres war so permanent regnerisch und nasskalt, dass schon die Heuernte fast nicht eingebracht werden konnte und auch für die übrigen Feldfrüchte gänzlicher Misswachs zu besorgen war, wozu auch noch der Bezirk am 8. August von Hagelschlag betroffen wurde, dessen Schaden in der Stadt auf 49 148 Gulden, im ganzen Bezirk auf 102 212 Gulden geschätzt wurde. Zugleich verderblicher Sturm und heftige Gewitter nach jedem Sonnenblicke. Der Herbst missriet gänzlich, da die Trauben nicht zur Reife gelangten. Der aus den ausgeschnittenen, weniger harten und sauren Trauben gewonnene Wein war nur durch Vermischung mit Obstmost trinkbar."1)

Welche Auswirkungen diese Missernten hatten, zeigt anschaulich der Brief eines Löwensteiner Familienvaters aus diesem Jahr:
Wir wissen uns nicht mehr zu helfen und zu retirieren. Auf dem Handwerk ist kein Kreuzer zu verdienen und Taglohn kann man nicht haben. Wir haben seit einigen Tagen nichts zu essen und müssen im höchsten Grad Not leiden und fallen fast um vor Schwäche. Mein Weib und mein Kind tun nichts als greinen und lamentieren."²)

Lapidar fasst der Eschenauer Kirchenkonvent die Lage zusammen:
"Durch die vier Fehljahre 1813 bis 1816 und Fruchtteuerung sind die Weingärtner an den Bettelstab gebracht worden."³)

Überall im Land wurde die notleidende Bevölkerung durch öffentliche Suppenküchen der örtlichen Wohlfahrtsvereine versorgt. An die Ärmsten wurden Brotrationen verteilt. Auch diese Kosten mussten größtenteils die Gemeinden aufbringen, was die Wohlhabenderen häufig ebenfalls an den Rand des Ruins brachte. Michael Schaffert, Bauer aus Waldbach, schilderte 1817 die Lage so:
"Jetzt geht es eben an den mittleren Mann, weil er die ganz Armen auch miterhalten soll, und also voraussieht, dass er ruiniert wird."4)

Die Folge war, dass die Auswandererzahlen stiegen. 1816 waren es noch 416 legale Auswanderungen in Württemberg gewesen, 1817 bereits über 6000. Dabei verdienten die Werbeagenten kräftig. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es:
"Es ist der größte Grad von Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass hierbei eine ganze Bande von Seelenverkäufern, größtenteils Württemberger, unter der Decke steckt. [...] Es ist in Heilbronn notorisch, dass der Bäcker Bäuerlen von Flein von der Transportierung der Auswanderer Profession macht und dass er jetzt eben mit einem solchen Transport abgefahren ist."5)

1) Ferdinand Ludwig Immanuel Dillenius, Weinsberg, vormals freie Reichs-, jetzt württembergische Oberamtsstadt. Chronik derselben, Stuttgart 1860, S. 229
2) Karl Rommel, Grundzüge einer Chronik der Stadt Löwenstein, 1893, Reprint Stuttgart 1980, S. 180
3) Heinrich Noller, Heimatbuch Eschenau, Weinsberg 1984, S. 101
4) Günter Moltmann, Aufbruch nach Amerika. Die Auswanderungswelle von 1816/17, Stuttgart 1989, S. 157
5) ebenda S. 186

S. a.: Ulrich Maier, Vom Neckar zum Hudson. Lernzirkel Migration zur Auswanderung aus dem nördlichen Baden-Württemberg nach Amerika, in: Landesgeschichte in Forschung und Unterricht, 3/2007, Stuttgart 2007, S. 131 ff.

 

Arbeitsaufträge

  • Fasst in wenigen Sätzen zusammen, welche Auswanderungsgründe hier genannt werden.
  • Versetzt euch in folgende Situation: Der Pfarrer eines Dorfes im Weinsberger Tal schreibt in sein Tagebuch über die Not und Verzweiflung seiner Gemeindemitglieder, die sie schließlich zur Auswanderung aus dem Lande treiben. Verfasst diesen Tagebucheintrag!

M 4: Friedrich List befragt Auswanderer in Heilbronn, Neckarsulm und Weinsberg

Am 30. April 1817 begann der württembergische Rechnungsrat Friedrich List im Auftrag der württembergischen Staatsregierung mit der Befragung von Auswanderern im Heilbronner Hafen und ließ alle Aussagen sorgfältig protokollieren. Im ersten Bericht „Actum den 30. April 1817 in dem Wirtshause zum Kranen“ heißt es:

„Gestern Abend um 5 Uhr erhielt der Rechnungsrat List von dem Königlichen Hochpreislichen Ministerium des Innern Befehl, sogleich nach Heilbronn abzugehen, um die dort befindlichen Auswanderer, welche sich am 1. Mai auf dem Neckar nach Holland einschiffen wollen, um von da nach Amerika zu gehen, über die Ursachen, welche sie zur Auswanderung veranlassen, zu Protokoll zu vernehmen..., von da aber in die Oberämter Weinsberg und Neckarsulm sich zu begeben, um diejenigen Einwohner, welche zur Auswanderung entschlossen seien, gleichfalls zu vernehmen. Commissarius (List) begab sich hierauf sogleich auf die Reise und kam heute früh hier an.[…]Derselbe begab sich nun auf den Kranen, wo eine Zahl von 600 - 700 Auswanderern zum Teil in den Schiffen, zum Teil aber auf dem freien Platz sich gelagert hatten, um auf den 1. Mai abzugehen.“ 1)

 

Unter den befragten Auswanderungswilligen befanden sich Leute aus vielen württembergischen Gemeinden: Ludwigsburg, Sindelfingen, Beutelsbach, Schorndorf und Göppingen ebenso wie aus den Orten der Umgebung. Heilbronn war Sammelplatz der Auswanderer und Ausgangspunkt der Schifffahrt über Neckar und Rhein nach Holland. Am 2. und 3. Mai führte List Vernehmungen in Weinsberg durch, am 5. und 6. Mai in Neckarsulm. Insgesamt sprach er mit 140 Bürgern und Auswanderungswilligen aus fast allen Gemeinden der beiden Oberämter. Die Ergebnisse der Untersuchung, die List nach Stuttgart meldete, warfen ein vernichtendes Licht auf die Zustände in der Verwaltung der Gemeinden. List wurde in Weinsberg von den Bürgern inständig gebeten, „einen Durchgang unter der ganzen Bürgerschaft zu halten, damit sich die reine Wahrheit“2) über den Druck der Magistratspersonen ergäbe. List fragte in Stuttgart nach, wie er sich verhalten sollte, doch wurde ihm vom Innenministerium eine solche Ausdehnung der Befragung untersagt. Sie hätte wohl zu viel Aufsehen erregt. Sein Abschlussbericht vom 7. Mai enthielt dennoch harte Kritikpunkte genug:

„Wenn ich die Resultate dieser Untersuchung in einem Blick zusammenfasse und dabei die Gemütsstimmung der Auswanderer berücksichtige, so finde ich als Grundursache der Auswanderung: Übelbehagen, d.h. Druck, Mangel an Freiheit in ihren bisherigen Verhältnissen als Staats- und Gemeindebürger.“3)

 

Im einzelnen gewichtete er folgende Ursachen: An erster Stelle sah er die unerschwinglichen Steuern und Abgaben, an zweiter Schikanen durch Amtspersonen, an dritter überhöhte Schreibergebühren, an vierter Missstände im Gerichtswesen, an fünfter Bedrückung durch Jagd- und Wildschäden, an sechster Bedrängnis durch Gutsherrschaften. Erst danach folgten Ursachen wie Misswuchs, Teuerung, Arbeitslosigkeit oder religiöse Gründe.

 

Über mangelnde Unterstützung durch den Schultheißen klagten Einwohner von Ellhofen. Der Bürgermeister von Willsbach sei dafür bekannt, „dass er die Leute drückt“. Christian Schwarz von Sülzbach sagte aus:

„Man hat mich Schulden halber verklagt und wenn ich exequiert (gepfändet) werde, so bin ich ruiniert und muss fortziehen. Es warten viele in meinem Ort auf den Verkauf und mein Ortsvorsteher selbst hat mir den Vorschlag gemacht, nach Amerika zu ziehen, weil sein eigener Tochtermann Güter neben mir liegen hat.“ 4)

 

Neuenstädter klagten über Willkür der Beamten:

„Der arme Bürger ist bei uns jeher wie ein Sklave behandelt worden.“ 5) Ebenso ließen sich Cleversulzbacher vernehmen: „Es wird niemand reich als der Stadtschreiber von Neuenstadt und der Bürgermeister von Cleversulzbach.“ 6)

Zwei Lehrensteinsfelder sagten aus:

„Wir müssen dem Edelmann alle Jahre 18 Tage fronen und vier Tag Boten laufen nach Heilbronn, Klafterholz machen und jagen. Dann müssen wir zur Gemeinde und zum Amt fronen und so verlieren wir den größten Teil unserer Zeit.“ 7)

 

List fasste zusammen:

„Der Druck, welche alle diese Gebrechen dem Bürger verursachen, ist durch den Misswuchs der letzten Jahre, durch die daher rührende große Teuerung der Lebensmittel und durch Mangel an Arbeit auf einen Grad gesteigert, welcher den weniger Bemittelten zur Verzweiflung bringt. Denn es ist doch wohl die Sprache der Verzweiflung, wenn die Auswanderer von Weinsberg sagen, es sei hier keine Besserung zu hoffen. Sie wollen lieber Sklaven in Amerika sein als Bürger in Weinsberg.“ 8)

 

1) Günter Moltmann, Aufbruch nach Amerika. Die Auswanderungswelle von 1816/17, Stuttgart 1989, S. 128
2) ebenda S. 128
3) ebenda S. 128
4) ebenda S. 175
5) ebenda S. 158
6) ebenda S. 163
7) ebenda S. 184
8) ebenda S. 185

(Vgl.: Ulrich Maier, Vom Neckar zum Hudson. Lernzirkel Migration zur Auswanderung aus dem nördlichen Baden-Württemberg nach Amerika, in: Landesgeschichte in Forschung und Unterricht, 3/2007, Stuttgart 2007, S. 131 ff.)

 

Arbeitsaufträge

  • Arbeitet aus dem Text heraus, was die Menschen in der Region 1817 belastete und zur Auswanderung trieb.
  • Schreibt eine kleine Szene, wie Friedrich List mit Auswanderern spricht. Verwendet Originalzitate aus dem Text und spielt die Szene in der Klasse vor.