Einführung
Der Schock über die Niederlage des Kaiserreiches am Ende des Ersten Weltkriegs führte zu einer schweren politischen Krise, aus der die Novemberrevolution hervorging. Auslöser war die Meuterei einiger Schiffsbesatzungen der deutschen Hochseeflotte gegen den Befehl, trotz des sicher verlorenen Krieges noch einmal gegen die englische Kriegsmarine zu einer letzten Schlacht auszulaufen. Der daraus folgende Kieler Matrosenaufstand weitete sich in wenigen Tagen auch auf die Kasernen in Württemberg aus und führte vor allem in den Rüstungsbetrieben Stuttgarts, Friedrichshafens, Heilbronns und anderer Industriestädte des Landes zu Streiks und Demonstrationen, die das sofortige Ende des Krieges und der Monarchie forderten.
Weite Teile des Bürgertums standen dieser Entwicklung ratlos und resigniert gegenüber, während die SPD dazu bereit war, in dieser schwierige Lage politische Verantwortung zu übernehmen und einen raschen Übergang zu einer parlamentarischen Demokratie einzuleiten. Über eine Mehrheit in den Parlamenten sollten soziale und wirtschaftliche Reformen herbeigeführt, der Kapitalismus überwunden und eine sozialdemokratische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung erkämpft werden. Demgegenüber versuchte der kommunistisch orientierte Spartakusbund innerhalb der USPD in Anlehnung an die Entwicklung ein Jahr zuvor in Russland die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie westlicher Prägung zu verhindern und nach sowjetischem Vorbild ein Rätesystem zu etablieren. Sie wirkten auf die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten hin und versuchten in diesen die Oberhand zu gewinnen.
So stellte sich in den letzten Wochen des Jahres 1918 die grundsätzliche Frage, "ob aus der Revolution eine parlamentarische Demokratie westlichen Gepräges oder eine Räteherrschaft sowjetischen Typs hervorgehen" sollte. (Günter Cordes, Krieg, Revolution, Republik, Die Jahre 1918 bis 1920 in Baden und Württemberg, herausgegeben vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Ulm 1978, S. 109)
Bald zeichnete sich ab, dass der Spartakusbund sein Ziel nicht erreichen würde, da er sich in den Arbeiter- und Soldatenräten mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen konnte. Arbeiter und Soldaten wählten mehrheitlich Anhänger der SPD und der Gewerkschaften in die Rätegremien, die ihre Aufgabe darin sahen, die von der SPD geführte Provisorische Regierung und deren Ziel zu unterstützen, rasch Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung herbeizuführen. Auch in diesen Wahlen erreichte die USPD mit ihrem Spartakusflügel nur wenige Prozentpunkte. Die SPD akzeptierte für die Übergangszeit die Rätegremien, machte aber deutlich, dass diese mit dem Zusammentritt der frei gewählten Parlamenten ein Ende haben sollten und die Räte stimmten mehrheitlich damit überein. Anhänger des Spartakusbundes entschieden sich angesichts ihrer aussichtslosen Lage zur Durchsetzung ihrer Ziele mit Gewalt. So kam es in Stuttgart in den Tagen vor den Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung am 12. Januar 1919 zu bewaffneten Aufständen, die mehrere Tage andauerten und die Regierung dazu zwang, sich unter dem Schutz regierungstreuer Truppen in den noch nicht ganz fertiggestellten und von regierungstreuen Truppen verteidigten neuen Bahnhof in Stuttgart zurückzuziehen. Als in München Anfang April 1919 durch einen Putsch der Spartakisten eine Räterepublik ausgerufen wurde, kam es ebenfalls zu bewaffneten Spartakisten-Aufständen in Stuttgart, die schnell niedergeworfen werden konnten.
Die Auseinandersetzungen zwischen dem linken Flügel der USPD und der SPD fanden auch in Heilbronn statt. Hier gelang es den Heilbronner USPD-Politikern Friedrich Reinhardt, Anna Ziegler, August Hornung und Wilhelm Schwan immer wieder, ihre Anhänger gegen die Politik der SPD zu mobilisieren, rasch zu einer parlamentarischen Demokratie überzuleiten und die anfängliche Dominanz der Rätebewegung schrittweise auslaufen zu lassen, Zu gewaltsamen Aktionen kam es beim Sturm auf das Gefängnis in der Steinstraße am 9. November 1918 und vor der Moltkekaserne am 21. Juli 1919, die aber mangels Unterstützung in der Bevölkerung keine politischen Auswirkungen hatten.
Die Vorgänge in Württemberg und in Heilbronn lassen sich gut mit denen auf Reichsebene vergleichen und in Beziehung setzen zum Verlauf der Oktoberrevolution in Russland. Durch lokale Bezüge zu Heilbronn und Stuttgart rückt die Thematik den Schülerinnen und Schülern näher. Dabei wird man angesichts der Vorgaben des Bildungsplanes Schwerpunkte setzen müssen, zeitlich etwa auf die Vorgänge um den 9. November 1918 herum und inhaltlich auf die Entscheidung gegen ein Rätesystem zugunsten einer parlamentarischen Demokratie. Unser heutiges politisches System hat seine Wurzeln in den Vorgängen von 1918/19, als die von der SPD geführte Provisorische Regierung eine Bolschewisierung der Revolution erfolgreich verhinderte. An diese Entwicklung knüpften die Bundesrepublik Deutschland und ihre Länder nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur an.
Die Flugblätter aus dem Stadtarchiv Heilbronn spiegeln die Geschehnisse der Epochenwende 1918 unmittelbar wider und geben einen anschaulichen Einblick in die Zeit, in der die Weichen zur Errichtung einer parlamentarischen Monarchie in Deutschland gestellt wurden.