Industrialisierung im 19. Jahrhundert

Zurück

Zahlreiche Mühlwerke am Neckar nutzten die Wasserkraft für die frühe Industrialisierung. Die großen Handelshäuser besaßen das nötige Startkapital und investierten in die beiden Papierfabriken und die ersten Hersteller von chemischen Produkten.

Im Gefolge der beginnenden Industrialisierung strömten Menschen in die Stadt – die Einwohnerzahl verdoppelte sich von knapp 6000 um 1800 auf rund 12.000 Mitte des Jahrhunderts. Die Stadtbefestigung wurde abgetragen und die Altstadt "modernisiert", indem die Fachwerkhäuser an den Hauptstraßen verblendet oder verputzt werden mussten.

Außerhalb der Altstadt stellte sich die Stadtplanung als ganz neue Aufgabe. Zunächst plante man neue Straßen vor den ehemaligen Stadttoren, dann Vorstädte mit rechtwinkeligen Bauquartieren. Nachdem die Landesvermessung die Plangrundlage geschaffen hatte, legte Stadtbaumeister Andreas De Millas 1839 einen Generalbauplan vor, der die nächsten 30 Jahre galt.

Gewerbebetriebe und Fabriken siedelten sich außerhalb des Stadtkerns an, wurden aber schnell von der wachsenden Stadt eingeholt. Lärm und Gestank aus den Fabriken führten bald zu Konflikten, bis im Norden der Stadt das Industriegebiet "Kleinäulein" für Firmen mit sogenannten "lästigen Anlagen" nach 1880 teilweise Abhilfe schuf.

Die neuen Fabriken zogen Arbeitskräfte aus dem Umland an - neue Aufgaben für die Stadtplanung und die soziale Fürsorge. Für die „dienende Klasse“ entstand ein eigenes Krankenhaus, die „Gesellschaft zum Bau von Arbeiterwohnungen“ linderte ab 1856 die Wohnungsnot. Mit der Neckardampfschifffahrt begann ein neues Verkehrszeitalter.

 

Öffentliche Einrichtungen wie die Wasserversorgung mussten der wachsenden Bevölkerung angepasst werden. Auch aus hygienischen Gründen wurde eine moderne Wasserversorgung notwendig – noch während des Baus forderte 1873 die einzige Choleraepidemie in Heilbronn fast 100 Todesopfer in der Altstadt.

Die Pumpstation an der Salzstraße und der Hochbehälter am Wartberg waren 1874 vollendet, und in den folgenden Jahren verlegte man das Leitungsnetz in der Stadt.

Seit Jahrhunderten flossen der Regen, die Abwässer und die Fäkalien in meist offenen Rinnen ab. Auch dies war aus hygienischen Gründen und durch die Zunahme der Bevölkerung auf Dauer untragbar. Schon ab 1840 wurden in Heilbronn deshalb unterirdische Dohlen in den Hauptstraßen gebaut. Eine moderne Kanalisation folgte in den 1880er Jahren.

 

Drückende Enge in der Altstadt

Wie stark der Kontrast zwischen der eng bebauten, ja geradezu vollgestopften Altstadt und den großzügigen, planmäßig angelegten Bauquadraten vor den Toren war, geht aus einem Bericht von Stadtschultheiß Titot aus dem Jahr 1841 hervor:

"Mit der sehr bedeutenden Zunahme der Bevölkerung stehen jedoch die Neubauten nicht im Verhältnis. Es werden immer noch zu wenig Häuser neue erbaut, weil der Aufwand für den Bauplatz, und die Baukosten zu dem billigen Mietzins noch in keinem Verhältnisse stehen, und die meisten Einwohner um ihres Gewerbes willen lieber in dem belebtesten Theile der alten Stadt bleiben, und es nicht ratsam finden, vor die Thore zu bauen. Deßhalb macht man, so lange es noch zu bewerkstelligen ist, aus Scheunen und Magazinen Wohnungen, und die meisten Wohnhäuser erhielten mehr Oefen und Heerde auf Kosten der bisherigen Kammern und geräumigen Oehrn [Flure], nur um recht viele Wohnungen zu schaffen, wodurch aber in manchen Häußern die Leute zu dicht beyeinander wohnen. [...]

Heilbronn hat schon seit mehreren Jahren Vorstadtpläne, aber wer bauen will, hat gar zu viele Mühe und Kosten, um einen Bauplatz zu erhalten, so daß mancher Baulustige im Voraus abgeschreckt wird."