Flugblatt der SPD zur Wahl am 19.1.1919 für die Nationalversammlung

Transkription

 

Auf zur Entscheidung!

Die erste Schlacht ist mit der Wahl der verfassungsgebenden Landesversammlung geschlagen. Die zweite, die entscheidende, folgt am Sonntag, den 19. Januar.

Jetzt gilt es nicht für das kleine Württemberg, sondern für das ganze deutsche Reich die Volksvertretung zu wählen, die ein neues Staatsgebäude zimmern soll.

Die alte Sozialdemokratische Partei ruft alle Schaffenden in Stadt und Land auf zur Beteiligung an der Wahl der Deutschen Nationalversammlung und zur Abgabe des sozialdemokratischen Wahlvorschlags.

Für Demokratie, Frieden und Volkswohlfahrt!

Das sei unsere Losung in diesem Wahlkampf.

Des Volkes Wille soll in freiester Wahl entscheiden über des Volkes Zukunft. Wir wollen nicht die alte Gewaltherrschaft von oben ersetzen durch eine neue Gewaltherrschaft von unten. Jede Herrschaft ist zum Untergang verurteilt, die mit Hilfe der rohen Gewalt der Mehrheit des Volkes Zwang antut.

Die Regierung soll ein Organ des Mehrheitswillens des Volkes sein. Dann wird nicht wieder eine Handvoll profitsüchtiger Kriegshetzer die ganze Menschheit in einen grauenvollen Krieg stürzen können. Dann werden wir auch bald zum

Abschluß des Friedens

kommen, nach dem sich unser ganzes Volk so heiß sehnt.

Wir brauchen den Frieden, weil wir Sicherheiten brauchen gegen den drohenden Einmarsch der feindlichen Heeresmassen.

Wir brauchen den Frieden, weil wir Brot vom Ausland brauchen, wenn unser Volk nicht der schrecklichsten Hungerkatastrophe zum Opfer fallen soll.

Wir brauchen den Frieden, weil wir Rohstoffe vom Ausland brauchen, um Güter für den eigenen Bedarf und zum Austausch mit dem Ausland gegen Lebensmitteln erzeugen zu können.

Der Frieden, den wir brauchen, soll allen künftigen Kriegsgefahren vorbeugen. Sowohl den Gefahren, die durch kapitalistische Eroberungssucht, als auch den Gefahren, die durch bolschewistischen Wahnsinn heraufbeschworen werden. Mit Entrüstung lehnen wir den Plan des russischen Bolschewisten Radek, dem die Berliner Spartakusse*) zustimmten, ab, daß demnächst deutsche und russische Arbeiterheere den Krieg mit Frankreich und England neu aufnehmen sollen.

Nieder mit den Kriegstreibern von rechts und links!

Das militärische Gewaltsystem ist durch die Revolution hinweggefegt. Dabei muß es bleiben! Ein Völkerbund, der die Welt durch internationale Schiedsgerichte gegen ein neues Völkermorden schützt, muß geschlossen werden. Abgerüstet muß werden, damit die Heereslasten sich vermindern. Eine demokratische Volkswehr muß an die Stelle der stehenden Heere treten.

Soll der

drohende Staatsbankrott

verhütet werden, so muß Sparsamkeit in der Verwaltung und eine gerechte Steuerpolitik herrschen. Der Krieg hätte nicht bis zum Zusammenbruch gedauert und unsere Schuldenlast würde nicht fast 200 Milliarden betragen, wenn man die kriegshetzerischen Millionäre schon während des Krieges am Geldbeutel gefaßt hätte. Vier lange Jahre wurden aber die Steuervorschläge der Sozialdemokratie abgelehnt und fürs fünfte Jahr nur teilweise angenommen.

Sämtliche bürgerliche Parteien

lehnten ab:

Die Verschärfung der Erbschaftssteuer!

Die Wiedererhebung des Wehrbeitrags!

Die Einführung einer oben scharf zugreifenden dauernden Einkommens- und Vermögenssteuer!

Die Erhebung einer nach oben steigenden allgemeinen Vermögensabgabe!

Die schärfste Erfassung der Kriegsgewinne!

Die Steuer auf die Dividenden

Sie nahmen an:

Die allgemeine Warenumsatzsteuer, die alle Lebensmittel verteuert!

Die Steuer auf den Eisenbahnverkehr, die die Teuerung verschärfte!

Die Steuer auf alle Getränke, auch den Most und die Limonade!

Die Steuer auf die Kohle!

Die erhöhte Steuer auf den Tabak!

Zentrum, Nationalliberale und Konservative lehnten auch ab die Steuer auf die Fideikommisse**)!

Jetzt, wo sie die Wähler brauchen, kommen die bürgerlichen Parteien wieder und versprechen gerechte Lastenverteilung. Fallen die Wähler darauf hinein, so werden wieder, wie bisher stets

die Armen belastet und die Reichen geschont!

Anmerkungen:

*) Spartakusse: Anhänger des Spartakusbundes, des linken, kommunistischen Flügels der USPD, die sich 1917 von der SPD abgespalten hatte.

**) Fideikommis: An eine adelige Familie gebundener Besitz.


Quelle des Flugblatts: Stadtarchiv Heilbronn E002-316

 

Arbeitsanregungen

  1. Fassen Sie die wesentlichen Ziele der württembergischen SPD zusammen!
  2. Arbeiten Sie die Argumente heraus, mit denen sich die SPD gegen Spartakus und bürgerliche Parteien abgrenzt.