Quellenarbeit - Augenzeugenberichte und Bilddokumente
Zeitzeugenberichte zum 4. Dezember 1944
Lore Heinrich, geb. Dederer (1928)
Lixstraße 17.
Im Betonbunker wird es gefährlich. Beim Test mit einem Streichholz stellt Dederer fest: Der Sauerstoff wird knapp. Aber der Feuersturm verhindert eine Flucht ins Freie.
Die etwa 15 Kinder, Frauen und Männer, darunter Nachbarn aus der Lixstraße 19, setzen sich auf die Treppe zum Hof. Jeder hält den Zipfel einer mit Most befeuchteten Decke vors Gesicht und schützt sich damit gegen Hitze, Rauch und Funkenflug.
Wir saßen wie auf einer Hühnerleiter. So haben wir bis zum Morgen überlebt.
(Aus: Jacobi, Uwe: Heilbronn - 4. Dezember 1944. Protokoll einer Katastrophe. Verlag Heilbronner Stimme 1994, S. 54)
Christl Käs, geb. Xander (1936)
Weinsberger Straße 18.
Viele Menschen aus der Umgebung flüchten in den Keller, über dem bisher nur das Hausdach brennt. Etwa 50 Personen drängen sich.
Raus, raus, alles raus! schreit von oben Großvater Albert Xander (1871), der im Keller Weinsberger Straße 25 überlebt und die Gefahr erkannt hat.
Ihr erstickt sonst, die Luft geht aus. Draußen ist ein einziger Feuersturm.
Mutter Elisabeth zögert. Aber sie weiß, dass der Großvater durch das Abhören von englischen und amerikanischen Feindsendern über das Kriegsgeschehen informiert ist.
Also gehorchen und raus auf die feuerspeiende Straße.
Das Atmen fällt schwer. Im Alten Friedhof ducken sie sich hinter einem Grabstein.
Raus hier, ihr erstickt sonst, schreit ein Mann vom Sicherheitsdienst. Raus aus der Stadt!
Ecke Ost-/Weinsberger Straße.
Die Aral-Tankstelle brennt wie eine Riesenfackel. Mutter und Tochter hasten über die Paul-Göbel-Brücke Richtung Weinsberg. […] In der Haller Straße kennen sie Frau Rieker.
Das Haus ist unbeschädigt. Die Leute sitzen überall auf den Treppenstufen.
Komme Se, Frau Xander, sagt die Hausherrin. Do isch no an Stuhl frei. Do könne Se mit Ihrem Döchterle die Nacht verbringe. So isch’s wenigstens warm.
(Aus: Jacobi, Uwe: Heilbronn - 4. Dezember 1944. Protokoll einer Katastrophe. Verlag Heilbronner Stimme 1994, S. 55)
Augenzeugenbericht zum Klosterkeller – Todesfalle Keller
Wilhelm Steinhilber (1892–1977)
Klosterkeller.
Im größten Luftschutzraum in der Altstadt sterben 611 Menschen. Der Keller ist großzügig ausgestattet und hat Luftpumpen. Als sie eingeschaltet werden, holen sie statt frischer Luft den Tod ins Gewölbe. Nur einer überlebt.
(Aus: Jacobi, Uwe: Heilbronn - 4. Dezember 1944. Protokoll einer Katastrophe. Verlag Heilbronner Stimme 1994, S. 44)
Heinrich Landes (1934)
Klosterkeller.
Otto Müller (1882) ist der einzige von 612 Insassen des Klosterkellers, der überlebt. [...] Zufällig ist er am 4. Dezember in Heilbronn und flüchtet in den Klosterkeller.
In Pforzheim hat er einen Luftangriff erlebt. Deshalb weiß er:
Wenn man den Keller nicht rechtzeitig verlässt, erstickt man.
Mehrere wollen aus dem Klosterkeller flüchten. Aber zwei bis drei Wachmänner an der Tür weisen sie zurück:
Niemand darf raus!
Was sich danach abspielt, erzählt er später [...].
Ich dachte, wenn ich im Keller bleibe, dann bin ich in jedem Fall tot. Nur wenn ich rauskomme, habe ich wenigstens noch eine Chance.
Zunächst steigt er in einen Wasserbottich und tränkt seine Kleider mit Wasser.
Dann boxte ich die Wachmänner zur Seite und bin raus. [...]
(Aus: Jacobi, Uwe: Heilbronn - 4. Dezember 1944. Protokoll einer Katastrophe. Verlag Heilbronner Stimme 1994, S. 44)
Hintergrundinformationen
Zeitzeugenberichte wie Tagebücher, Aufzeichnungen und Interviews sowie eine ausführlichere Beschreibung der Lage bietet Uwe Jacobis in seinem Buch „Heilbronn, 4. Dezember 1944, Protokoll einer Katastrophe“, erschienen im Verlag Heilbronner Stimme.
Weitere Literatur siehe: Infos und Tipps
Arbeitsvorschläge
Didaktische Überlegungen
Die Schreibaufgabe orientiert sich an gestaltpädagogischen Ansätzen von Peter Knoch (Dines, Peter; Knoch, Peter: Menschen im Bombenkrieg, in: Praxis Geschichte 5/1990, S. 32-38; s.a. Knoch, Peter: Geschichte und Gestaltpädagogik – Einige experimentelle Erfahrungen, in: Uffelmann, Uwe (Hg): Didaktik der Geschichte. Villingen-Schwenningen 1986). Dabei sollen Emotion und Körperlichkeit der Schüler nicht ausgeblendet werden; Lernen soll Gelegenheit zu Selbstausdruck und Identitätsdarstellung geben.
Nach einleitenden Informationen des Lehrers zum Thema und der Frage nach eigenen Erfahrungen sollen sich die Schüler in eine Person hineinversetzen und in der Ich-Form beschreiben (körperliches Gefühl, Empfindungen, Erlebnis/Erfahrung ...). Beim Vorlesen der Texte ergeben sich aus persönlicher Betroffenheit weitere Frageansätze und größere Zusammenhänge, die im Unterricht thematisiert werden können.
Einzelstunde
Die Schüler erhalten zunächst Text- und Bildquellen, die den Alltag der Heilbronner im II. Weltkrieg darstellen. Anschließend sollen sie sich in die Lage eines gleichaltrigen Jugendlichen versetzen, der den 4.12.1944 erlebt. In einem fiktiven Tagebucheintrag sollen sie ihre Gedanken und Gefühle in der Ich-Form zu Papier bringen. Dieser Baustein enthält sowohl Text- als auch Bildquellen und Lösungsvorschläge von Schülern.
Arbeitsauftrag – Einzelstunde (Schreibaufgabe zum 4.12.1944)
Nach einleitenden Informationen zum Thema und dem Gespräch über Vorerfahrungen der Schüler erhalten diese folgende Aufgabe:
- Versetze dich in die Lage eines gleichaltrigen Jugendlichen, der den 4.12.1944 miterlebt hat.
- Verfasse einen fiktiven Tagebucheintrag.
- Schreibe in der Ich-Form, was du erlebst, denkst, fühlst. Was hörst du, was siehst du, was schmeckst / riechst du?