Carl Lang und sein „Heilbronner Industrie-Comptoir“
Wie sah es in Heilbronn vor mehr als 200 Jahren wohl aus? Einen kleinen Eindruck vermittelt ein Album, das 1795 im Verlag „Heilbronner Industrie-Comptoir" erschienen ist.
Wer mag das Ansichtenwerk damals gekauft haben? Vielleicht der eine oder andere Besucher unserer Stadt, der ein besonderes Andenken mitnehmen wollte, vor allem aber die Heilbronner selbst, die stolz waren auf ihre kleine florierende Reichsstadt. War Heilbronn nicht schön? – Vor allem jetzt, wo neben dem alten Fachwerk auch moderne (klassizistische) Steinbauten entstanden und es die exzellente Kassenlage erlaubte, die Plätze und Straßen mit Öllampen zu erleuchten und zur Verschönerung des Stadtbildes teuere exotische Bäume und Sträucher zu pflanzen. Die Heilbronner waren wirklich kein bisschen verzopft, sondern auf der Höhe der Zeit und auch den schönen Künsten gegenüber war man aufgeschlossen. Das Bürgertum ging fleißig in Konzerte und in die Aufführungen der durchziehenden Wanderbühnen, und wer weiß – vielleicht würde Heilbronn sogar Stuttgart den Rang ablaufen und zu einem Künstlerzentrum werden.
Nach dem Tod von Herzog Karl Eugen 1794 war die Hohe Karlsschule in Stuttgart geschlossen worden, wenig später wurde auch das renommierte Kupferstich-Atelier aufgelöst. Carl Lang, dem das Heilbronner Industrie-Comptoir gehörte, setzte sofort alle Hebel in Bewegung, die angesehenen, nun heimatlosen Künstler nach Heilbronn zu holen. Aus seinem 1792 gegründeten Industrie-Comptoir mit dem zunächst doch etwas hochtrabenden Namen sollte nun der Verlag für (schwäbische) Kunst, Dichtung und Musik werden.
Das war schon ein Tausendsassa, dieser junge Carl Lang. Er hatte von 1785 bis 1788 in Erlangen und Göttingen Jura studiert und war als 22-Jähriger bereits Kanzleiadvokat des Ritterkantons Kraichgau geworden. 1795 wurde er zum Heilbronner Stadtgerichtsassessor ernannt, zwei Jahre später wählte man ihn, gerade mal 32-jährig, als Senator in den Heilbronner Rat. Das war aber nicht alles: Er konnte auch Verse machen, zu Herzen gehende Geschichten und kleine Schauspiele schreiben, er malte, zeichnete und er beherrschte perfekt die Kupferstich-Technik. So hat er die zeichnerischen Vorlagen unseres Albums, die von dem jungen Jakob Gauermann stammen, selbst gestochen. Gewandt und liebenswürdig war er noch dazu. Wer weiß, wohin ihn sein Ehrgeiz, seine hochfliegenden Pläne noch führen sollten. – Nun, sie führten ihn ziemlich direkt in die Pleite. Denn eines hatte Carl Lang nicht: kaufmännisches Talent.
Zu Beginn des Jahren 1798 platzten die Wechsel, die eine vorübergehende Finanzkrise überbrücken sollten, und das Heilbronner Industrie-Comptoir ging in Konkurs. Die beträchtlichen Kapitaleinlagen seiner beiden Schwäger Schaumenkessel und Schreiber waren perdu und sein Schwiegervater Philipp Neubauer, der bei der Gründung des Unternehmens weitgehend gebürgt hatte, fragte sich, ob sein charmanter Schwiegersohn lediglich ein leichtsinniger Träumer war.
Im April 1792 hatten die Apothekertochter Christiane Neubauer (aus der Einhorn-Apotheke in der Sülmerstraße) und Carl Lang geheiratet und mittlerweile waren das Töchterchen Friederike und das Söhnchen Ferdinand zur Welt gekommen. Und nun diese Blamage für den jungen Familienvater! – Aber hat man das nicht kommen sehen? Hatte sich Carl nicht zu sehr von der lockeren, leichten Lebensführung seiner Künstlerfreunde beeindrucken lassen? War er nicht zunehmend verschwenderisch geworden, auch was seinen Verlag anging, wo doch jeder wusste, dass man in diesen kriegerischen Zeiten das Geld lieber zusammenhielt? Und hatte er nicht manchmal sogar vergessen, dass er verheiratet war?! Jetzt stand er vor seiner Familie, vor den Senatskollegen im Rat, vor ganz Heilbronn stand er als Bankrotteur da – das würde er niemals wieder los werden.
Am 28. September 1798, kurz vor Tagesanbruch, ließ sich Carl Lang vom Sülmertorwächter das Stadttor öffnen. Seitdem galt er als verschollen. Nur hin und wieder gab es Gerüchte, dass er unter anderem Namen in Berlin lebte – oder war es Leipzig, oder Dresden?
Die verlassene Christiane, die mit den beiden Kindern mittellos bei den Eltern lebte, reichte die Scheidung ein, die im Sommer 1800 rechtskräftig wurde. Das Konkursverfahren in Sachen Heilbronner Industrie-Comptoir zog sich wegen der zahlreichen Verbindlichkeiten über nahezu zehn Jahre hin, bevor es 1808 entgültig zu den Akten gelegt werden konnte.