Die Heilbronner Feuerordnung von 1787
Heilbronn war früher, zu Reichsstadtzeiten, eine Fachwerkstadt. Die meist zwei- und dreistöckigen Häuser innerhalb der Stadtmauer standen dicht an dicht, die Straßen und Gassen waren bis auf wenige Ausnahmen eng und darüber hinaus vollgestellt mit Wagen, Karren und landwirtschaftlichem Gerät. Wenn da ein Feuer ausbrach, konnte das zu einer Katastrophe für die ganze Stadt werden. So war es am 6. Mai 1743 gewesen, als sich in Konsul Weitbrechts Haus in der Schulgasse aus heißer Asche ein Feuer entzündete, das sich in Windeseile im Haus verbreitete. Es sprang auf die Nachbarhäuser über, und schließlich brannte das ganze Wohnviertel mit 51 Gebäuden nieder. Das durfte nicht noch einmal geschehen! Der Heilbronner Stadtrat war sich einig: die Bauvorschriften mussten strenger und ihre Einhaltung besser überwacht werden. Die Einwohner sollten auf die Gefahrenquellen hingewiesen und ihnen eingeschärft werden, äußerst sorgfältig mit Feuer und Licht umzugehen. Sollte es wieder zu einem Brand kommen, so musste jeder mit schlafwandlerischer Sicherheit seine Aufgaben beim Retten und Löschen beherrschen.
Im Jahr 1786 wurde Senator Becht beauftragt, alle Überlegungen zusammenzufassen. Ein Jahr später erschien im Namen des "Hochedlen und Hochweisen Herrn Bürgermeisters und Raths" die Heilbronner Feuer- und Löschordnung. Jeder Hauseigentümer erhielt ein gedrucktes Exemplar und hatte dafür zu sorgen, dass alle seine Hausbewohner die immerhin 125 Seiten lange Ordnung "fleissig und öfters" durchlasen. Da aber vor allem die Praxis zählt, so verfügte der hochlöbliche Magistrat, dass künftig zwei Mal im Jahr ein "Lösch-Exercitium" stattfinden sollte. Im Frühjahr und September wurde nun jeweils einen Tag lang (ab 6 Uhr früh) für den Ernstfall geprobt.
Der wohl durchdachten, aber recht komplizierten Löschordnung gehen umfangreiche baupolizeiliche Vorschriften und Verhaltensregeln voraus. Sie geben uns heute, zwischen den Zeilen, eine Ahnung vom alltäglichen Leben in der Reichsstadt Heilbronn vor mehr als zweihundert Jahren.
Die meisten Heilbronner lebten damals vom Handwerk, vom Weinbau und der Landwirtschaft. In jedem Beruf mussten Besonderheiten im Umgang mit Feuer und offenem Licht beachten werden. Da gab es beispielsweise die "in Spänen" arbeitenden Schreiner, Dreher, Wagner und Küfer, die "Feuerarbeiter" wie die Schmiede, Schlosser und Büchsenmacher, die mit leicht feuerfangenden Materialien hantierenden Buchdrucker, Buchbinder und Seiler. Bei den Seifensiedern konnte sich unbemerkt aus dem Aschevorrat ein Feuer entzünden, bei den Bierbrauern bildete vor allem das Malzdörren eine Gefahrenquelle. Apotheker durften Arzneien aus "brandvermehrenden" Substanzen nur in gewölbten Laboratorien herstellen.
Ein eigenes kleines Kapitel ist jenen gewidmet, die "Raketen, Schwärmer oder andere Lustfeuerwerksachen" herstellten. Sie sollten "nur bei Tag und an einem ganz sichern Plaz daran arbeiten". Heikle Arbeitsvorgänge wie das Salpeterbrechen, das Erhitzen von Schwefel oder das Pechen der Wasserraketen mussten außerhalb der Stadtmauern geschehen. Und "wer dergleichen Lustfeuerwerksachen arbeitet, soll es nicht heimlich thun, sondern seinen Nachbarn kund machen" und ihnen zeigen, dass alle Vorschriften eingehalten werden.
Auch für die Landwirte gab es Vorschriften, um die Entstehung eines Brandes zu verhüten. Vor allem die "Feldleute und Taglöhner, deren Häuser im Sommer öfters den ganzen Tag leer stehen, werden ins besondere erinnert, das Heerdfeuer morgens früh ... wol zu verwahren" und sich vor dem Verlassen der Wohnung in der (hoffentlich) aufgeräumten und reinlichen Küche prüfend umzusehen. Die Feuerordnung appellierte an alle, die durch jene von den "Feldleuten" bewohnten, tagsüber menschenleeren Viertel kamen, nach eventuellen Brandherden Ausschau zu halten und gegebenenfalls Alarm zu schlagen.
Die Hausmütter hatten unter anderem darauf zu achten, dass die Kinder nicht zündelten, dass in der Küche keine große Wäsche gewaschen (nur die "Kinderwäsche und kleine Saifenwäsche" war erlaubt), nur tagsüber die Wäsche aufgehängt und mit dem "Begeleisen" äußerst sorgfältig umgegangen wurde. Mit Kohlen gefüllte "Bettwärmer" waren nun verboten, und allgemein galt, dass man sich "des Bücherlesens und Schreibens bei Licht im Bett enthalten" sollte. Rauchen war nur mit Einschränkung erlaubt, auf keinen Fall in der Schlafkammer, in den Ställen, Schobern oder Heuböden. Auf der Pfeife sollte stets ein Deckel sein und bei stürmischem Wetter war das Rauchen gänzlich untersagt. Immerhin hatte der Stadtrat damit akzeptiert, dass das 1654 erstmals ausgesprochene, immer wieder erneuerte generelle Verbot des Rauchens innerhalb der Stadtmauern nicht aufrecht zu erhalten war.
Offensichtlich haben die Heilbronner Kirchgänger auf recht gefährliche Weise versucht, sich in den unbeheizten Kirchen etwas Wärme zu verschaffen. Der Rat empfahl nun dringend, sich an "Flaschen mit heißem Wasser" zu wärmen und "solange diese nicht allgemein werden, hat der Küster nach jeder Kirchenversammlung ... die Kirchengänge einigemal zu durchwandern, und nachzusehen, ob keine Kohle, glüende Asche, oder eine Entzündung am Holzwerk wahrzunehmen" ist.
Um für den Ernstfall gerüstet zu sein, riet die Feuerordnung den Haushaltsvorständen, Gewerbetreibenden und Handelsleuten dazu, nach und nach das Mobiliar, in dem das Hab und Gut und die "Gewerbswaaren" aufbewahrt wurde, "flüchtgerecht" umzugestalten. Dabei war der Hochlöbliche Magistrat bei der Innenausstattung des neuerbauten Stadtarchivs mit gutem Beispiel vorangegangen: die Schränke, in denen die wertvollen Archivalien untergebracht waren, bestanden aus übereinander gestellten Kästen, die an der Seite Griffe hatten und die leicht genug waren, um bei Gefahr hinausgetragen zu werden. Öffentliche, d. h. bewachte und beleuchtete Fluchtplätze waren unter anderem die Kilians- und die Nikolaikirche, der Spitalhof, das große Bollwerk, und für die "Küsten und Coffer" war der Keller unter dem Rathaus vorgesehen.
Auch bei dieser Feuer- und Löschordnung wollte der Rat in seiner "obrigkeitlichen väterlichen Liebe" nicht auf eine seiner Lieblingsermahnungen verzichten, und er gab seinen Bürgern zu bedenken, "daß sie durch Fleiß und Gewerbsamkeit, durch vernünftige Ersparnis und durch Einschränkung des so sehr einreisenden übertriebenen Aufwands in Kleidung, in Speise und Getränk" dem Gemeinwohl dienten und damit auch der Brandverhütung und -bekämpfung einen Dienst erwiesen.
Bestimmt haben die Heilbronner sich das zu Herzen genommen – zumindest normalerweise. Aber wie war das an den Tagen, an denen die Vieh- und Jahrmärkte stattfanden oder der Abschluss der Lese gefeiert wurde? Die vielen fremden Marktbesucher und die Weinseligkeit versetzten die Stadt in einen Ausnahmezustand, und die Sorge des Rates ist unverkennbar: Ob sich die Garköche, Gast- und Schenkwirte bei dem Andrang auch an alle Vorsichtsmaßnahmen hielten? War die Versuchung nicht zu groß, verbotenerweise innerhalb der Stadtmauern ein paar Feuerwerkskörper zu zünden. Was war mit den Betrunkenen, die sich eine brennende Fackel schnappten, um damit durch die unbeleuchteten, vollgestellten Nebenstraßen und Gassen den Heimweg zu suchen? Bis ins 19. Jahrhundert hinein patrouillierten deshalb an diesen Tagen Feuerwachen durch die Stadt, und überall mussten zusätzliche Wassertröge und -zuber aufgestellt werden.
Einen Brand größeren Ausmaßes hat es in den nächsten Jahrzehnten in Heilbronn nicht gegeben. 1845 erklärten sich die jungen Männer der Turngemeinde bereit, bei Feuergefahr der Bevölkerung als Hilfsmannschaft zur Seite zu stehen. Und zwei Jahre später gründete sich hier mit der "Lösch- und Rettungsanstalt" die zweitälteste (freiwillige) Feuerwehr in Württemberg.